Gastkommentar

Wenn Unternehmensgewinne die Kantonsfinanzen belasten

Die Hälfte der Kantone verzeichnet negative Margen bei neuen Unternehmensgewinnen. Mit Ablehnung der USR III verzögert sich auch eine nötige Anpassung des Finanzausgleichs. Für viele Kantone bestehen somit weiterhin kaum Anreize, am Steuerwettbewerb um Unternehmen teilzunehmen.

Christoph A. Schaltegger und Patrick Leisibach
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Bundesrat Ueli Maurer gibt Auskunft zum Ausgang der Abstimmungen, am vergangenen Sonntag. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Bundesrat Ueli Maurer gibt Auskunft zum Ausgang der Abstimmungen, am vergangenen Sonntag. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Laut Befürwortern der USR III hätte die Vorlage die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz als Wirtschaftsstandort gesichert. Gute (steuerliche) Rahmenbedingungen sind dafür zwar nötig, allein aber noch keine Erfolgsgarantie. Eine wichtige Rolle spielt auch die Anreizsituation der Kantone, die wesentlich vom nationalen Finanzausgleich (NFA) mitbestimmt wird. Diesen Aspekt gilt es zu berücksichtigen, sollten sich Kantone nun dazu entschliessen, trotz oder gerade wegen des Abstimmungsergebnisses steuerpolitisch aktiv zu werden. Eine langfristig attraktive Standortpolitik kann nur führen, wer auch die entsprechenden Margen auf Unternehmensgewinnen erzielt. Zieht ein Kanton Unternehmen an, steigt die eigene Finanzkraft und somit in der Regel auch die Zahlung in den Finanzausgleich (respektive sinken die Transfers bei Nehmerkantonen). Für den finanziellen Erfolg ist letztlich also eine Nettobetrachtung aus Steuermehreinnahmen abzüglich veränderter NFA-Zahlungen entscheidend.

Fehlende Anreize im heutigen System

Finanzschwache Kantone erhalten vom Bund und den finanzstarken Kantonen aus dem so genannten Ressourcenausgleich Transferzahlungen. Kantone mit überdurchschnittlicher Finanzkraft zahlen proportional zu ihrer Stärke in den Finanzausgleich ein. Bei den Transfers zu den finanzschwachen Kantonen wird dagegen eine stark progressive Berechnungsformel angewandt. Dies begünstigt die schwächsten Kantone, untergräbt aber gleichzeitig deren Anreize, die eigene Situation zu verbessern.

Bei Unternehmensgewinnen mindert ein zweiter Faktor die Anreize zusätzlich: Heute erhöht ein Gewinnfranken die Finanzkraft in gleichem Masse wie ein Einkommensfranken. Unternehmensgewinne lassen sich jedoch steuerlich weniger stark ausschöpfen und stellen deshalb für viele Kantone ein finanzielles «Verlustgeschäft» dar. Die Steuermehreinnahmen aus zusätzlichen Unternehmensgewinnen reichen nicht, um die tieferen NFA-Zahlungen auszugleichen. Schmerzhafte Erfahrungen macht in dieser Hinsicht aktuell der Kanton Luzern. Dessen Tiefsteuerstrategie führte zwar durchaus auch zu Ansiedlungen und Zusatzeinnahmen. Dies zeigt sich in der überdurchschnittlichen Erhöhung der Finanzkraft. Die Ausfälle – insbesondere durch markant tiefere NFA-Zahlungen – bescherten dem Kanton in der Nettobetrachtung aber rote Zahlen.

Die USR III hätte in dieser Beziehung Verbesserungen gebracht. So sah die Reform vor, zukünftig sämtliche Unternehmensgewinne in der Finanzkraftberechnung reduziert zu berücksichtigen. Damit hätten sich für viele Kantone die Anreize verbessert, am Standortwettbewerb um Unternehmen teilzunehmen. Unsere Grafik illustriert diesen Effekt. Dargestellt ist die Marge auf neue, ordentlich besteuerte Unternehmensgewinne im Jahr 2016 sowie die geschätzte Marge, wäre die USR III wie geplant in Kraft gesetzt worden.

(Bild: Berechnungen Schaltegger/Leisibach)

(Bild: Berechnungen Schaltegger/Leisibach)

Die Marge zeigt, wie viel den Kantonen aus einem Gewinnfranken effektiv bleibt. Auf der Habenseite zu verbuchen sind die Gewinnsteuern (jeweils für Kanton und Kantonshauptort) sowie der Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer. Davon abzuziehen ist die veränderte NFA-Zahlung. Letztere beträgt für 100 Franken an neuen Gewinnen aktuell rund 4 bis 26 Franken. Bei den Nehmerkantonen liegen die Werte oft um ein Mehrfaches höher als bei den Geberkantonen.

Negative Margen bei Nehmerkantonen

Die Grafik zeigt eine klare Zweiteilung: Die Geberkantone sowie vergleichsweise starke Nehmerkantone verfügen über Margen im grünen Bereich. Die Mehrheit der finanzschwachen Kantone verzeichnet für 2016 hingegen negative Margen auf zusätzlichen Unternehmensgewinnen. Die Steuereinnahmen von Kanton und Hauptort reichen folglich nicht aus, um die tieferen NFA-Zahlungen zu kompensieren. Erwirtschaftet ein Unternehmen im Kanton Genf einen Neugewinn von 100 Franken (vor Steuern), bleiben Kanton und Stadt Genf zusammen effektiv rund 15 Franken. Derselbe Gewinn verursacht im Kanton Uri indes einen Verlust für Kanton und Hauptort von rund 14 Franken. Diese partielle Betrachtung zeigt: Jeder zweite Kanton fährt am besten, wenn bei ihm gar keine neuen Unternehmensgewinne anfallen.

Jeder zweite Kanton fährt am besten, wenn bei ihm gar keine neuen Unternehmensgewinne anfallen. Die USR III hätte in dieser Beziehung
Verbesserungen gebracht.

Die Grafik zeigt aber auch, dass sich die Margensituation mit einer Neugewichtung der Unternehmensgewinne für viele Nehmerkantone verbessert hätte. Die Margen nach Reform beruhen auf diversen Annahmen. Entsprechend wären die dargestellten positiven Margen keineswegs garantiert. Auch bei einer neuen Reformvorlage im Sinne der USR III bestünden nicht für alle Kantone Anreize, die eigene Steuerbasis zu pflegen. So bringen Steuersatzsenkungen kurzfristig durch den Finanzausgleich nicht kompensierte Steuerausfälle – der Erlös aus einer langfristig erhöhten Finanzkraft wird hingegen abgeschöpft.

Zweifellos zeigt diese simple Margenbetrachtung nicht das ganze Bild. Mit Unternehmen sind auch Arbeitsplätze, weitere Steuereinnahmen und regionalpolitische Interessen verbunden. Eine Strategie könnte also durchaus sein, die negativen Margen bei Unternehmen durch zuziehende Mitarbeiter wettzumachen. Unsere zweite Grafik zeigt deshalb die Margen auf Einkommen von Spitzenverdienern. Diese sind in der Regel mobiler und fiskalisch interessanter, weswegen der Wettbewerb insbesondere in dieser Kategorie geführt wird. Die dargestellten Margen beziehen sich auf neue Einkommen, die mit dem Spitzensteuersatz der Einkommensteuer belastet werden. Wie die Werte zeigen, schrumpfen die Margen aufgrund des Finanzausgleiches bei den Nehmerkantonen stark. Überraschend: Selbst in diesem lukrativen Segment gibt es Kantone mit einer negativen Marge.

(Bild: Berechnungen Schaltegger/Leisibach)

(Bild: Berechnungen Schaltegger/Leisibach)

Innovationen bleiben aus

Die Margenberechnungen zeigen: Der Finanzausgleich leidet insbesondere bei den Nehmerkantonen unter einem Anreizproblem. Trotzdem kam der Steuerwettbewerb in den letzten Jahren nicht zum Erliegen. Kantone wie Obwalden, Luzern oder Appenzell Ausserrhoden wurden steuerpolitisch aktiv. Inzwischen ist vielerorts aber Ernüchterung eingekehrt. Die schlechte Lage der Kantonsfinanzen und die mittlerweile klare Sichtbarkeit der Anreizwirkungen werden den Steuerwettbewerb langfristig beeinträchtigen.

Steuerpolitische Experimente und Innovationen drohen zu erlahmen – mit negativen Auswirkungen auf die internationale Standortattraktivität. Elemente der abgelehnten USR III wie die Patentbox oder die zinsbereinigte Gewinnsteuer werden in anderen Ländern bereits eingesetzt. Den Kantonen ist die Einführung solcher Instrumente teilweise nicht erlaubt. Oder sie würden aufgrund des Finanzausgleichs kaum etwas in die Kassen spülen. Der Steuerföderalismus als Entdeckungswettbewerb verkommt so zum «Schlafmützen- und Subventionswettbewerb».

Mit Unternehmen sind auch Arbeitsplätze, weitere Steuereinnahmen und regionalpolitische Interessen verbunden. Eine Strategie könnte also durchaus sein, die negativen Margen bei Unternehmen durch zuziehende Mitarbeiter wettzumachen.

Ferner bietet eine attraktive Steuerpolitik gerade für ländliche Kantone oft die einzige Möglichkeit, sich als Unternehmensstandort gegenüber den Ballungszentren zu positionieren. Die Kompensation der eigenen Standortnachteile durch eine attraktive Steuerpolitik wird jedoch durch den Finanzausgleich bestraft. Langfristig dürften sich die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Kantone deshalb eher vergrössern und die räumliche Segregation vorantreiben. Angestrebt wurde das Gegenteil.

Reformbedarf

Auch die Neuauflage der Reform muss sich zwingend der Anreizproblematik im Finanzausgleich annehmen. Die Neugewichtung der Unternehmensgewinne darf aber nur ein Etappenziel darstellen. Viele der diskutierten Reformvorschläge (wie z.B. die Entpolitisierung der Dotation) sind wichtig, ändern an der Anreizstruktur allerdings wenig. Grundproblem für die fehlenden Anreize ist die progressive Verteilung der Transfers. Eine naheliegende Lösung wäre deshalb eine lineare Berechnungsmethode. Diese gäbe allen Kantonen denselben Anreiz, die eigene Finanzkraft zu verbessern. Allerdings bestehen bei der Ausgestaltung klare Zielkonflikte zwischen Anreizhöhe, Mindestausstattung und Finanzierbarkeit. Ein Trilemma, das sich auch in der Sozialpolitik immer wieder zeigt. Eine lineare Verteilung bei gleichzeitiger Beibehaltung der heute definierten Mindestausstattung wäre kaum finanzierbar, eine Variante mit tieferer Mindestausstattung kaum mehrheitsfähig. Die gleichzeitige Einführung einer neutralen Zone, also einen Bereich in dem Kantone weder Mittel bekommen noch beisteuern, würde zwar bestehende Fehlanreize abschwächen, dafür an der Schwelle neue schaffen.

Denkbar wären auch neue Ansätze. Beispielsweise die Unternehmensgewinne bei der Berechnung der Finanzkraft nicht mehr direkt zu berücksichtigen. Für den Finanzausgleich wären die Unternehmensgewinne über Zufluss von Dividenden, Zinsen und Kapitalgewinnen bei den Einkommen und Vermögen der natürlichen Personen allerdings weiterhin relevant. Die restlichen Parameter, wie etwa das Mindestausstattungsziel, blieben bestehen und die Dotation in vergleichbarem Rahmen. Ein solches System würde die Anreize für die Ansiedlung von Unternehmen durch kluge Standortpolitik markant verbessern. Steuerpolitische Innovationen würden nicht mehr länger bestraft, die Standortattraktivität der Schweiz gestärkt. Eine Simulation mit den Zahlen zum Finanzausgleich 2017 zeigt: Ohne Berücksichtigung der Unternehmensgewinne würden insbesondere die Kantone Neuenburg, Zug, Schaffhausen und Basel-Stadt an relativer Stärke verlieren und bei den Transfers entsprechend profitieren. Auf der anderen Seite gewännen namentlich die Kantone Wallis, Graubünden und Schwyz an relativer Finanzkraft hinzu.

Die fehlenden Anreize drohen die Attraktivität des Standortes Schweiz langfristig zu schwächen. Die USR III hätte diesbezüglich eine Besserung gebracht. Den grundsätzlichen Anreizproblemen ist aber nur mit weitergehenden Reformen beizukommen. Im System des Schweizer Föderalismus kommt dem Finanzausgleich als wirksames und nötiges Korrektiv zu den kantonalen Unterschieden eine wichtige Rolle zu. Wirkt er allerdings zu stark als Bremsklotz, nimmt das System als Ganzes Schaden.

Prof. Dr. Christoph A. Schaltegger ist Ordinarius für Politische Ökonomie an der Universität Luzern. Er lehrt auch an der Universität St. Gallen zum Thema öffentliche Finanzen.

Patrick Leisibach ist wissenschaftlicher Assistent an der Universität Luzern.